The Immigrants Who Disappeared
Heima ist das isländische Wort für Zuhause, Heimat.
Im Duden wird das deutsche Wort Heimat als Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend) definiert.
Wie verhält, es sich jedoch, wenn man den Ort, an dem man geboren wurde und aufgewachsen ist, verlässt? Was, wenn man nie mehr an diesen Ort zurückkehrt? Wo ist man dann „Zuhause“ und was ist „Heimat“?
Ist es ein Ort oder ein Gefühl und wieviel bleibt davon, wenn das Leben in einem fremden Land weitergeht?
Diese Fragen beschäftigen mich seitdem ich 1988 - im Alter von zehn Jahren - mein damaliges Zuhause, einen Bauernhof in Polen, verlassen musste um ein neues Leben in Deutschland zu beginnen.
Für mein Projekt „Heima/t“ habe ich meine zeitweilige „Wahlheimat“ Island bereist, um deutsche Frauen ausfindig zu machen die als junge Mädchen, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach Island auswanderten, um dort ein neues Leben zu beginnen.
Sie wurden 1949 vom isländischen Bauernverband angeworben um auf den ländlichen Höfen, auf dem Frauenmangel herrschte, auszuhelfen. Heute betrachtet man den Aufruf als eine getarnte „Heiratsanzeige“.
Ich habe elf der damals noch lebenden Frauen und einen Mann sowie ihre damaligen Bauernhöfe besucht. Ich wollte mehr über ihre Beweggründe, in einem so jungen Alter ein neues Leben in der Fremde zu beginnen, erfahren. Vor allem jedoch interessierte ich mich für die Frage „Was und wo ist ihre Heimat“. Ich wollte erfahren, ob und wie – Frauen die ein Alter von fast neunzig Jahren erreicht haben, und über ein halbes Jahrhundert, in einem „fremden“ Land gelebt haben – diese Frage für sich beantworten.
So unterschiedlich die Begegnungen mit den "Esja-Frauen"waren, ihr Traumata war bei allen noch deutlich zu spüren. Fast siebzig Jahre nach ihrer Ankunft auf Island, waren die Frauen bereit über ihre Erlebnisse zu sprechen. Ihre Lebensläufe sind geprägt von Verlust und Angst aber auch von ungeheurem Mut ein neues Leben zu beginnen.
„Heima/t“ ist der letzte Blick auf eine Zeit voller Entbehrungen, vom Verlust im doppelten Sinne, von der Heimat in Deutschland und der Heimat in der Fremde.
Die heute insgesamt knapp dreitausend Nachkommen der Esja-Frauen, geben nur eine Idee davon, in welchem Maße die deutschen Frauen die isländische Gesellschaft und Kultur geprägt haben müssen.
Isländischer Bauer sucht deutsche Frau: 1949 warb der Inselstaat per Annonce um "Dienstmädchen für Landhaushalte" - Hunderte wagten den Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier berichten die letzten Überlebenden von ihrem Abenteuer.
Als das Blut in einem kräftigen Strahl aus dem Hals des Schafes schießt, wird Ursula schwarz vor Augen. Es ist Schlachttag auf dem Hof, der Bauer hat das Mädchen gebeten, eine Schüssel zu nehmen und das Blut aufzufangen, das aus dem sterbenden Tier pulsiert. Als er sieht, dass der 18-Jährigen übel wird, darf sie gehen. Böse ist er Ursula nicht.
Nun sollten deutsche Frauen die abtrünnig gewordenen Isländerinnen ersetzen. Ein schlauer Schachzug: Im Nachkriegsdeutschland kamen auf einen Mann fünf Frauen, herrschten Hunger und Armut. Laut Autorin Anne Siegel, die das Schicksal der Esja-Frauen in ihrem Buch "Frauen, Fische, Fjorde" rekonstruiert hat, beschränkte sich die Anwerbungsaktion des isländischen Bauernverbands auf den schleswig-holsteinischen Raum - dort vermutete man eine den Isländern ähnliche Mentalität.
Was die Nordmänner in ihrer Frauennot nicht bedacht hatten: In und um Lübeck, wo der isländische Vizekonsul Arni Siemsen mit Verve für das Vorhaben trommelte, hielten sich damals zahlreiche Flüchtlinge auf. So stammten laut Siegel nur 40 Prozent der Island-Einwanderinnen aus Norddeutschland und 60 Prozent aus Ostpreußen, Schlesien, Siebenbürgen. Was all jene Frauen verband, war ein ungeheurer Mut - gepaart mit der Sehnsucht, die eigenen Traumata zu überwinden.
"Von oben bis unten gemustert"
Schon als kleines Mädchen, erzählt Ursula, habe sie gewusst: Irgendwann werde ich euch alle, werde ich Deutschland verlassen. Als ältestes von vier Kindern musste sie während des Kriegs die Erzieher-Rolle übernehmen, während der Vater an der Front kämpfte und die Mutter als Reinigungskraft in einem Büro arbeitete. Nur ungern redet die gebürtige Lübeckerin über ihre Vergangenheit, die nächtliche Flucht in den Keller, die Leichen, die am Tag nach einem Bombenangriff auf den Straßen lagen.
Krankenschwester wäre sie gern geworden, doch das sei nach dem Krieg für sie unmöglich gewesen. Eines Tages kam die Mutter mit den "Lübecker Nachrichten" in der Hand heim und zeigte ihr die Annonce. Sofort eilte Ursula zum Isländischen Vizekonsulat in der Körnerstraße 18 - als erste von rund 900 Bewerberinnen.
"Füge dich den Sitten des Landes", ermahnte der Vater sie zum Abschied, dann ging die bildhübsche Ursula, im Koffer ein wenig Wäsche, Familienfotos und die erforderliche Entnazifizierungsurkunde, am 5. Juni 1949 in Hamburg an Bord der "Esja". Mit ihr reisten 280 weitere junge Frauen - und 79 Männer. Die nahm man mit, damit die Aktion nicht ganz so plump nach Verkupplungsmaßnahme aussah.
Nach vier Tagen turbulenter Überfahrt - wie die meisten war Ursula bei dem starken Wellengang seekrank geworden - erreichte die "Esja" am Abend des 9. Juni den Hafen von Reykjavik. Trotz ihres dicken Mantels, genäht aus einer grauen Soldatendecke, fröstelte Ursula. Und staunte, weil die Sonne die ganze Nacht nicht untergehen wollte.
"Keinen einzigen Baum" erspähte die Lübeckerin, stattdessen graubraune Lavafelder und schneebedeckte Vulkane. Als die jungen Frauen vom Schiff runterdurften, wurden sie mit großem Rummel empfangen. "Die Männer musterten uns von oben bis unten", erinnert sich Ursula.
Wind, Kälte, gesengte Lammköpfe
Ihr Herz hatte sie zu jenem Zeitpunkt jedoch schon verloren: an Jon, den isländischen Schiffskoch der "Esja", er steckte ihr während der strapaziösen Reise eine Extraration Brot und Milch zu. Doch bevor die beiden zueinander finden und heiraten sollten, musste Ursula zunächst ihr Landwirtschaftsjahr auf dem entlegenen Bauernhof zwischen Holmavik und Drangsnes, im Nordwesten des Landes, absolvieren. 400 Kronen gab es dafür pro Monat, Kost und Logis frei. "Wie sehen denn die Eskimos aus?", habe ihre Mutter im ersten Brief gefragt. "Wir wussten nicht das Geringste über unser Island", erzählt Ursula und lacht.
Das Mädchen hatte Glück: Der Hof von Bauer Halldor Gudmundsson verfügte bereits über elektrisches Licht, die Bauersfrau nähte ihr warme Kleider, anders als bei einigen anderen Esja-Frauen wurde niemand der männlichen Hofbewohner zudringlich. Die Deutsche gewöhnte sich an Wind und Kälte, Erdbeben und den Verzehr von gesengten Lammköpfen.
Heimweh verspürte sie selbst dann nicht, als Bauersfrau Petrina eines Morgens ihr Lieblingslämmchen in den Kochtopf warf. "Nie zuvor ging es mir so gut wie in Island", sagt die vierfache Urgroßmutter im Rückblick. Nach Deutschland zurückkehren wollte sie zu keinem Zeitpunkt. Und will es auch jetzt nicht, da ihr dritter Ehemann verstorben ist, sie unter Einsamkeit leidet und ihr Sehvermögen von Tag zu Tag nachlässt.
Etwa die Hälfte der deutschen Einwanderinnen ist im Land geblieben, laut dem isländischen Historiker Petur Eiriksson leben etwa 340 direkte Nachkommen und mehr als 1000 Enkel auf der Insel. Lange Zeit bildeten die Esja-Frauen die größte Immigrantengruppe in Island - mittlerweile sind nur noch wenige von ihnen am Leben.
"Ob es sowas wie eine Heimat gibt und was Heimat eigentlich bedeutet": Dieser Frage wollte Fotografin Skubatz mit ihrem Island-Projekt nachgehen. Ursulas Antwort ist eindeutig: "Meine Heimat ist Island. Obwohl ich im Herzen immer Deutsche sein werde."
In 1949, Iceland saw its first and only group immigration organized and paid for by the government when 314 Germans, mostly between 20 and 30 years old, among them 139 refugees, were hired to work on farms across the country. Icelanders were increasingly moving from the countryside to towns and villages, and as a result, farmhands were needed. as part of the initiative, 284 farmers requested 316 laborers, 231 women and 85 men.
Bombings and Blessings
In the wake of World War II, poverty was widespread in Germany, food was rationed, unemployment was rife and millions of refugees from the eastern territories were spilling across the new borders into Poland. With a promise of a monthly income and all expenses paid, approximately 2,000 men applied, but considerable effort had to be made to find the required number of female applicants.
“Germany was in ruins. There was nothing to miss,” says Gisela Schulze when I ask if she never got homesick after the move to Iceland. at 18, she was one of the youngest immigrants. “I was born in Stettin.” located on the Oder river, the now-polish port city is known as Szczecin. “While the war was still ongoing, our house was bombarded by the Russians, and so I left for Stolp [Słupsk] near Danzig.” as the polish border was shifted west, ethnic Germans were forced to move. “So you escaped,” interjects Gisela’s husband Árni Jónsson. “I didn’t escape. I left!” she snaps.
From Ruins To Riches
In Iceland, World War II was sometimes called “the blessed war” because of the boom in employment, improved infrastructure and technological development brought on by the allied occupation.
But social development resulted in depopulation of the countryside. To address the problem, a resolution was submitted at the 1947 agricultural Congress (Búnaðarþing) to “import foreigners” to work on farms. Two years later the resolution was put into effect and German newspapers advertised for farmhands in Iceland. The Icelandic Consulate in Lübeck was responsible for the hiring and Gisela applied along with a friend. “I didn’t make any plans. My friend was going, so I just followed her.”
From City Life to Countryside
Not every applicant was escaping a hopeless situation. “I had work. I worked in a drugstore in Lübeck,” stresses Hildur Björnsson, then Hilde Raabe. “But after five years in an office, I wanted to be in the country.”
By far the youngest of her siblings, she lived alone with her mother, as her father had passed in 1945. When Hildur saw the ad in the paper, the 21-year-old jumped at the opportunity. The destination seemed unimportant. “The only thing I knew about Iceland was that the capital was called Reykjavík,” she smiles.
If distancing herself from city life was what she wanted, Hildur’s wish was certainly granted. She was placed at the farm Grjótnes (‘Rocky Cape’) on Melrakkaslétta, a vast tundra just below the arctic Circle in Northeast Iceland. The journey was long and complicated. “I traveled by train to Hamburg, by ship to Reykjavík, by bus to Akureyri, by plane to Raufarhöfn and by motor boat to Grjótnes.” When I ask whether it was a shock to arrive in such a remote loca-tion, Hildur simply says, “When you’re young, everything’s exciting. Everyone was friendly to me.” Seated in her wheelchair, sipping coffee in the communal kitchen of the retirement home Hvammur in Húsavík, where Hildur now lives, her positive attitude obviously hasn’t faded. “I’m happy here. life couldn’t be better.”
Both Hildur and Gisela arrived in Reykjavík along with 183 other Germans on the passenger ship Esja on June 8, 1949.
“I don’t remember much about that day apart from that the sun was shining,” recalls Gisela. “And it was windy. All the time it was windy.” Walking through the capital, Gisela was surprised at how small the buildings were. “I thought Austurvöllur was rather strange,” she says of the city’s central square by which the Reykjavík cathedral—tiny in comparison with German cathedrals—and Alþingi Parliament stand. “Pósthússtræti was the only street where there were tall buildings, Hótel Borg and Reykjavíkurapótek.”
Gisela was placed at Vífilsstaðir, a tuberculosis hospital ten kilometers (6.4 miles) outside Reykjavík. To begin with, she worked at the on-site farm but didn’t feel she was of much use. “The housekeeper gave me a leg of lamb to cook. I had no idea what to do with it. When it came to gutting a huge haddock, I was also at a loss.”
Gisela felt more comfortable at the hospital. “I enjoyed helping the patients.” Five other German women lived and worked at Vífilsstaðir. “So we had a little community there. We all came to Iceland in 1949 but none of us arrived at the same time. The others came with trawlers.”
The friends used their spare time to explore the city’s cultural life. “There wasn’t much happening at the time but we went to art exhibitions.” Their Icelandic friends were eager to teach them the language. “Anna Guðmundsdóttir, the actress, took us to the National Theater. We saw Íslandsklukkan and Fjalla-Eyvindur [classic plays] and I didn’t understand a thing,” laughs Gisela.
“‘It’s good for you,’ Anna insisted, and so we went again. The second time, I understood a little more and the third time, I was starting to get the hang of it. It helped listening to the language being spoken.”
In the middle of summer, the friends bought bus tickets to travel the country. “In the highlands, there weren’t any roads, just rocks, mountains and wastelands. It was so alien. I don’t remember our destinations, only Ásbyrgi. It was the strangest place I’d ever been to. an enclave of cliffs,” Gisela says of the famous horseshoe-shaped nature reserve in Northeast Iceland, only 40 km south of Grjótnes.
Successful Integration
Meanwhile, Hildur kept herself busy. “I helped out with the housework, haymaking and milking.” The houses at Grjótnes, where two families lived, were unusually tall and stately for the Icelandic countryside. In the farm’s heyday, it had 40 residents and people came there from neighboring farms and villages to dance. “That was before my time. Many people had moved to Reykjavík,” says Hildur.
The language wasn’t a problem. “I was quick to learn Icelandic. My brother had given me a book before I left [Schatten über der Marshalde, originally I Marsfjällets Skugga (1937) by Swedish author Bernhard Nordh] and when I came to Grjótnes I noticed that the same story was being published as a serial in newspaper Tíminn. So I compared the two.”
She never got homesick, she states. “I didn’t have many relatives in Germany.” She and her mother sent letters and Hildur visited her two times but she was never tempted to leave Grjótnes for good. Soon after she arrived, Hildur and the farmer’s son Björn Björnsson got engaged. “It happened very quickly. They were all waiting for the German girls,” she smiles. By 1952, they were married.
Farm life suited Hildur well. “We had 300 sheep and two cows. I made butter, which we sold, and I picked berries and made juice.” The farm had some income from picking eider down and collecting eggs from seabirds.
Food was never scarce; the farmers caught fish in the spring. “We had fish to last us the whole year,” says Hildur. “We had two or three horses for gathering the sheep in the autumn. We were also responsible for the lighthouse Rauðanúpsviti and had to ride the ten kilometers on horseback.”
A good athlete, Hildur competed in sport. “It was a bit primitive,” she laughs. “We were running on a field and I stepped in a hole. It was no smooth track.”
Hildur came first in women’s long jump at the national track and field championship in 1955 and was the highest-scoring female athlete. There were other Germans in the region, who Hildur met on occasion. “But ten kilometers away isn’t exactly in the neighborhood,” she points out.
Friends and relatives sometimes visited. “My niece’s son stayed with us twice; once for a whole month to help out with the lambing. My husband and I both had the flu.”
The couple had a car and could drive into town in Raufarhöfn, that is, as long as they weren’t snowed in. “There used to be much more snow here.” Long dark winter nights were ideal for reading. “There were many books at Grjótnes,” explains Hildur.
Before the national electricity grid reached Melrakkaslétta, the farm produced its own power with windmills and an oil stove was used for heating. “It was always warm,” she says. Gradually, farms in the vicinity were abandoned and eventually the other family at Grjótnes moved to the next village.
The childless couple were the only ones left, but it didn’t occur to them to move. “We didn’t want to leave.” In the end, though, Hildur had no other option. “My husband died in 2002 and I left the following year. First I moved to Raufarhöfn and then I came here,” she says of Hvammur.
I ask whether she never visits Grjótnes. “It’s too cumbersome with the wheelchair. The nurses planned a trip there and invited me to come along but I didn’t want to. That time is behind me now.”
In his 2008 book, Þýska landnámið, historian and economist Pétur Eiríksson recounts the story of the German immigrants. Not all of them had as good an experience as Gisela and Hildur. Many of them were forced to work long hours, didn’t receive the pay they were promised, had problems integrating and suffered as a result of the harsh climate, isolation and often unsanitary and primitive conditions of Icelandic farms. Some were even bullied or subjected to sexual harassment.
Still, 146 of the immigrants stayed on, and their descendants now number around 2,000. While the agriculture authorities concluded that the immigration “experiment” had failed, as the hiring of the German laborers proved costly, Pétur points out their positive influence on Icelandic society and culture and that, “they integrated so perfectly ... that they disappeared among the Icelanders.”